Leserinnen und Leser von cash.ch interessieren sich für die Themen Anlegen, persönliche Finanzen und Vorsorge - klassische Geldthemen also. Und es werden die meisten wissen, dass in der 1948 geschaffenen schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung, kurz AHV, ein ähnliches Problem besteht wie bei den Pensionskassen: Der demographische Wandel bewirkt, dass immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanziert werden müssen. Das Verhältnis von Arbeitnehmern, welche die Renten mitfinanzieren, zu den Rentnern verlagert sich zulasten ersterer. 

Als Resultat verschlechtern sich die finanziellen Aussichten der AHV. Denn die AHV, auch erste Säule genannt (die zweite Säule sind die Pensionskassen, dritte Säule die private Vorsorge), unterliegt dem Umlageprinzip. Einbezahlte Mittel werden sofort weitergeleitet. In der Pensionskasse spart jede und jeder prinzipiell im eigenen Topf (das Kapitaldeckungsprinzip), in der privaten Vorsorge ist dies sowieso der Fall. 

Vor diesem Hintergrund werden die Stimmberechtigten in der Schweiz am 25. September über das Reformpaket "AHV 21" entscheiden. Es ist der erste grössere Versuch innerhalb von rund 25 Jahren, für die AHV ein weitreichendes Update durchzuführen. 

Worum geht es? 

Im Kern der Vorlage steht die Erhöhung des Rentenalters für Frauen. Derzeit werden Frauen mit 64 Jahren regulär pensioniert, Männer mit 65 Jahren. Die Angleichung beider Geschlechter auf 65 Jahre soll die Ausgaben der AHV stabilisieren.

Im Details ist dies wie folgt geregelt: 

  • Das reguläre Renteneintrittsalter für alle liegt ab 2028 bei 65 Jahren. Zwischen 2024 und 2028 soll das Rentenalter von Frauen und Männern in Stufen angeglichen werden. Frauen mit Jahrgang 1961 arbeiten dann regulär 3 Monate länger als bisher bis zum Lebensalter 64. Frauen mit Jahrgang 1962 werden mit 64,5 Jahren pensioniert. Beim Jahrgang 1963 gilt Renteneintrittsalter 64 Jahre und 9 Monate. Ab Jahrgang 1964 liegt das Referenzalter auch für Frauen bei 65 Jahren. 
  • Für Frauen der Jahrgänge 1961 bis 1969 werden Ausgleiche geschaffen. Wer sich frühpensionieren lassen will, wird eine geringere Leistungskürzung erfahren als es aktuell der Fall ist. Wer sich regulär pensionieren lässt, erhält für den Rest des Lebens einen Rentenzuschlag. 
  • Teil der Reform ist auch, dass Frauen und Männer das Renteneintrittsalter zwischen 63 und 70 Jahren flexibler wählen können als heute. Frühpensionieren lassen kann man sich dann jeden Monat, und nicht zu bestimmten Zeitpunkten einmal im Jahr. Wer will, kann länger als bis 65 arbeiten.

Um nicht nur die Ausgaben zu senken, sondern auch die Einnahmen zu erhöhen, soll zudem die Mehrwertsteuer steigen.

Die Mehrwertssteuer soll wie folgt steigen: 

  • Der Normalsteuersatz steigt von 7,7 auf 8,1 Prozent.
  • Der reduzierte Satz für Güter des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Lebensmittel und Medikamente steigt von 2,5 auf 2,6 Prozent.
  • Der Sondersatz für die Hotellerie steigt von 3,7 auf 3,8 Prozent.  

Alles in allem verspricht sich der Bund mit den vorgeschlagenen Änderungen bis 2032 eine Entlastung der AHV um rund 17 Milliarden Franken. 

Wer befürwortet die Vorlage, mit welchen Argumenten?

Die Reform der AHV, wie in der Vorlage festgelegt, wird von Bundesrat und vom Parlament zur Annahme empfohlen. Unterstützt werden sie von den Parteien SVP, FDP, Mitte und Grünliberale.

Zentral für die Befürworter ist das Argument, dass die Finanzen der AHV stabilisiert werden müssen. Dies sei mit der AHV 21 ohne Rentenkürzungen vorgesehen. Indem mit höherem Rentenalter für Frauen und einer angehobenen Mehrwertsteuer Ausgaben und Einnahmen berücksichtigt würden, sei ein Kompromiss erreicht worden. Im weiteren Sinne würden die Folgen auf alle verteilt. 

Hauptstreitpunkt der Vorlage sind die Auswirkungen auf die Frauen. Aus Sicht der Befürworter ist die Vorlage aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen sozial vertretbar. Abgefedert werde das Paket mit besonderen Regelungen für die unmittelbar betroffenen Jahrgänge.

Auch die Lage habe sich geändert. Frauen seien anders als in den frühen Jahren nach der AHV-Einführung zum grossen Teil berufstätig. Dass zwischen Frauen und Männern unterschiedliche Löhne existieren, sei nicht primär ein Thema, das spezifisch die AHV-Reform lösen solle.

Wer ist gegen die Vorlage, und mit welchen Argumenten? 

Gegen die Reform sind die Parteien SP und Grüne. Unterstützt werden sie von einer grossen Zahl von Gewerkschaften und anderen Interessensvertretern von Arbeitnehmern. 

Die Gegner führen ins Feld, dass die Reform überproportional die Frauen belastet. Diese würden bereits jetzt im Schnitt ein Drittel weniger Pension erhalten als die Männer. Sie bestreiten, dass es mit der Vorlage nicht zu Rentenkürzungen komme. In den nächsten 10 Jahren würden die Frauenrenten um 7 Milliarden gekürzt.

Die Gegner befürchten, dass die Vorlage AHV 21 der erste Schritt für ein generelles Rentenalter 67 darstellt. Auf dem Arbeitsmarkt sei es aber für viele schwierig, allein bis ins Alter von 65 Jahren voll zu arbeiten. Ein höheres Rentenalter verschärfe die Probleme mit Arbeitslosigkeit für jene in den letzten Jahres des Erwerbslebens.

Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer steigen die Kosten in der Lebenshaltung weiter und belasten die Kaufkraft, wie ein weiteres Argument der Gegner lautet. Die AHV, die keine Schulden habe und derzeit finanziell solide sei, lasse sich auch ohne Reform respektive mit anderen Ansätzen als der Reform AHV 21 aufrechterhalten. Nur Top-Verdiener würden mehr in die AHV einzahlen, als sie erhielten.

Was sagen die Meinungsumfragen?

Weil die AHV alle betrifft, direkt das Thema einer unterschiedlichen Situation von Frauen und Männer berührt und mehr oder weniger diffuse Sorgen vor der finanziellen Zukunft betrifft, ist die Debatte emotional. Individuell sind die Einschätzungen und Erwartungen an die Rente sehr unterschiedlich. 

Kontrovers diskutierte Einzelargumente spielen für die Abstimmung eine Rolle: Die künftige finanzielle Lage der AHV lässt sich so leicht nicht voraussagen. Ob Frauen oder Männer letztlich privilegierter sind, ist wegen verschiedener Faktoren generell nicht so einfach feststellbar. Ob am Ende Sozialabbau oder mehr soziale Leistungen herauskommen, ebenfalls. Eine grundlegende Reform der Altersvorsorge betrifft zudem auch die zweite und dritte Säule. 

Eine am 19. August veröffentlichte Meinungsumfrage der SRG brachte eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Reform der AHV hervor. Eine am 31. August, dreieinhalb Wochen vor der Abstimmung von Tamedia und 20 Minuten veröffentliche Befragung zeigte noch ein knappe Mehrheit von 52 Prozent für ein höheres Rentenalter für Frauen.  

Wie wird abgestimmt, und wie stimmen Sie ab? 

Die AHV-Reform und die Erhöhung der Mehrwertsteuer sind in den Abstimmungsunterlagen zwei separate Abstimmungen. Damit AHV 21 durchkommt, müssen beide Vorlagen angenommen werden. Deswegen wird von den Befürworter- respektive Gegner-Komittees mit "2 x Ja" respektive "2 x Nein" geworben. Die Gegner wären allerdings schon siegreich, wenn nur die höhere Mehrwertsteuer abgelehnt wird. 

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